Die Journalistin Tobore Ovuorie ist für ihre Verdienste um die Pressefreiheit in Nigeria mit dem diesjährigen Freedom of Speech Award der DW ausgezeichnet worden. Sie ist vor allem für ihre Investigativ-Recherchen zum internationalen Menschenhandel bekannt geworden, in deren Verlauf sie misshandelt, vergewaltigt und fast getötet wurde.
"Wir ehren heute eine mutige Journalistin aus Nigeria", sagte DW-Intendant Peter Limbourg am Montag anlässlich der Preisverleihung. "Tobore Ovuorie hat sich während ihrer Recherchen zum Handel mit jungen Frauen von Afrika nach Europa extremen Herausforderungen gestellt." Die Journalistin habe damit auf das Schicksal Tausender Opfer aufmerksam gemacht und die Behörden so zum Handeln gezwungen.
'Licht ins Dunkel bringen'
Bei der Entgegennahme ihres Preises in Bonn wies Ovuorie auf die Arbeitsbedingungen in ihrem Land hin. Journalisten müssten ums wirtschaftliche Überleben ebenso kämpfen wie um den Zugang zu Informationen. "Uns werden Türen vor der Nase zugeschlagen, wenn wir Fragen stellen und wir werden schikaniert, eingeschüchtert, verhaftet und eingesperrt", sagte Ovuorie. "Ich kann getrost sagen, dass die freie Presse in meinem Land und den umliegenden afrikanischen Ländern, wie beispielsweise Kamerun, in einem schrecklichen Zustand ist."
Die Preisträgerin kritisierte auch die unlängst verhängte Twitter-Sperre in Nigeria. "Ich nutze diese Gelegenheit, um die verschiedenen Regierungen der Welt aufzufordern, auf die nigerianische Regierung einzuwirken, das Twitter-Verbot zu beenden. Demokratie sollte vom Volk und für das Volk sein - und nichts weniger", sagte sie.
Ovuorie forderte ihre Journalistenkollegen weltweit auf, den Kampf um die Aufdeckung von Ungerechtigkeiten fortzusetzen. "Auf keinen Fall dürfen wir zulassen, dass unsere Stimme zum Schweigen gebracht wird. Wir müssen uns weigern, uns der Diktatur anzupassen. So werden wir Licht in die Dunkelheit bringen und unsere verschiedenen Gesellschaften, Gemeinschaften und Länder werden zu gesünderen, sichereren und besseren Orten für uns alle und für die kommenden Generationen."
DW-Journalistin Mimi Mefo hat im Rahmen der Preisverleihung beim Global Media Forum 2021 in Bonn mit ihr gesprochen.
DW: Die nigerianische Regierung hat die Nutzung von Twitter im ganzen Land verboten. Was ist Ihre Meinung dazu?
Tobore Ovuorie: Ich denke, dass das Twitter-Verbot eine sehr unkluge Maßnahme ist. Die Regierung investiert Energie in die falsche Richtung, denn im Moment haben wir ganz andere Probleme in diesem Land. Auf den Autobahnen werden Reisende gekidnappt. Wir haben Schulkinder, die entführt werden und deren Eltern Millionen von Naira als Lösegeld zahlen müssen. Wir haben die Fulani-Krise. Es ist ein Chaos nach dem anderen. Mit all dem im Hinterkopf ist das Twitter-Verbot einfach nicht sehr klug. Wenn die Energie, die in das Twitter-Verbot investiert wird, in die Bekämpfung der Unsicherheit im Land oder sogar in die Stromversorgung investiert werden würde, glaube ich, dass die Regierung eine ganze Menge erreichen könnte. Das Twitter-Verbot geht überhaupt nicht für mich.
Viele befürchten, dass sich das Twitter-Verbot vor allem auf Journalisten negativ auswirken wird. Vor allem auf solche, die wichtige Recherchen betreiben, so wie Sie. Was glauben Sie, wie sich das auswirken wird?
Es sind nicht nur Journalisten, die die Auswirkungen dieses Verbots spüren werden. Ich weiß von jungen Nigerianern, die lange keinen Job finden konnten. Also haben sie kleine Unternehmen gegründet. Ich war sogar schon Kunde bei einigen dieser jungen Menschen. Ich gehe auf Twitter und sehe dort ihre Produkte und Angebot. Wenn mir etwas gefällt, gehe ich einfach auf die Webseite, bestelle etwas und bekomme es geliefert. Mit dem Twitter-Verbot wird diesen jungen Menschen die Möglichkeit genommen, ein Einkommen zu erzielen. Kein Job, keine Möglichkeit, Geschäfte zu machen. Was kommt als nächstes für sie? Als Journalistin nutze ich Twitter, um herauszufinden, welche Geschichten gerade angesagt sind, um Umfragen zu machen und so weiter. Und seit dem Verbot fühle ich mich tatsächlich wie eine Diebin, die in ihrem eigenen Haus umherschleicht. Ich nutze nun VPN und einigen dieser VPN-Seiten kann man nicht wirklich trauen.
Als Journalistin sind Sie für Ihre Undercover-Recherchen bekannt. Unter anderem haben Sie einen internationalen Menschenhandelsring aufgedeckt, indem Sie sich als Sexarbeiterin ausgegeben haben. Was haben diese Recherchen mit Ihnen gemacht?
Vor allem in der letzten Phase der Ermittlungen ging es richtig abwärts. Ich wurde gezwungen, mich auszuziehen - und wenn ich sage auszuziehen, dann hatte ich weder einen Slip noch einen BH an. Ich fühlte mich furchtbar. Ich fühlte mich objektiviert. Und das hatte einen negativen Einfluss auf mich. Als ich schließlich den Ort verließ, ging ich einfach wieder nach Hause. Ich duschte und weinte bitterlich unter der Dusche und ging einfach nur schlafen. Für den Rest des Tages konnte ich nichts mehr tun. Aber das war nicht das Einzige, was passierte. Mir wurden Substanzen zum Rauchen gegeben. Ich habe ein Asthma, ich sollte also wirklich niemals rauchen. Und am Ende hatte ich einen Asthma-Anfall, wurde ins Krankenhaus gebracht und musste mit Sauerstoff versorgt werden. Um ehrlich zu sein, habe ich einfach nur gebetet, dass ich überlebe.
Was war die Motivation für Sie, diese Art von investigativem Journalismus zu betreiben?
Was mich angetrieben hat, war, dass ich jemanden, der mir sehr nahe stand, durch den Menschenhandel verloren hatte. Ich hatte nie die Gelegenheit, mit ihr zu sprechen, bevor sie verstarb. Das hat diese stille Wut in mir erzeugt. Abgesehen davon, dass ich persönlich betroffen war, akzeptiere ich einfach kein Nein als Antwort. In dem Moment, in dem ich sage, OK, ich werde das tun, bringe ich es zu einem logischen Ende. Wenn ich also zum Beispiel ein Geschäft machen will, werden Sie mir meine Bitte erfüllen, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Ich akzeptiere kein Nein als Antwort.
Wie schaffen Sie es als weibliche investigative Journalistin in einem Land wie Nigeria, Ihre Arbeit und Ihre persönliche Sicherheit unter einen Hut zu bringen?
Zuallererst möchte ich betonen, dass es schon ein Job ist, Nigerianerin zu sein, in Nigeria zu leben. Und investigativen Journalismus zu machen, bedeutet zusätzliche Arbeit. Aber eine Frau zu sein und investigativen Journalismus zu machen? Das ist extra, extra viel Arbeit. Schon vor der Undercover-Recherche hatte ich gelernt, auf mich aufzupassen, aber seither bin ich noch vorsichtiger. Ich erinnere mich an eine Zeit, als ich auf Wohnungssuche war und da war dieses sehr schöne Anwesen. Und ich fragte den Hausverwalter: Gibt es noch andere Türen außer dem Haupteingang? Und er sagte: Nein, das ist der einzige Weg der rein und raus führt. Und ich sagte: Ich bin nicht interessiert. Ich kann sehen, dass das Haus schön ist, aber ich kann nicht an einem Ort leben, wo es nur einen Eingang gibt. Ich führe praktisch ein Leben auf der Flucht.
Würden Sie eine Undercover-Recherche wie damals nochmals wagen?
Lassen Sie es mich so ausdrücken: Ungeachtet all dessen, was 2013 passiert ist, der Missbrauch, die Langzeitfolgen, dass ich immer noch in Therapie bin. Es gibt Tage, an denen ich mich so niedergeschlagen fühle, bis heute. Aber wenn ich die Möglichkeit hätte, nochmal diese Geschichte zu machen oder noch einmal Undercover über Menschenhandel zu recherchieren: Ja, ich würde es tun. Ich würde es wieder tun. Ich werde natürlich vorsichtiger sein, mit all meiner Erfahrung, die ich heute habe. Und lassen Sie mich etwas verraten: Es bahnt sich schon etwas an in diese Richtung.
Author: Kyle Miller
Last Updated: 1703174281
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